Wann besteht ein Anspruch auf einen unentgeltlichen Anwalt?

Wenn es um die Pfändung von 7'230 Franken geht, stehen für eine Person mit finanziellen Problemen bedeutende Interessen auf dem Spiel. Deshalb hat sie Anspruch auf einen unentgeltlichen Anwalt.

Das Betreibungsamt Aarwangen hatte in der Betreibung gegen X eine Zahlung der Versicherungsgesellschaft nach einem  Berufsunfall als beschränkt pfändbares EInkommen taxiert und 7'230 von total 17'500 Franken gepfändet. Der Schuldner beauftragte einen Anwalt, Beschwerde zu führen. Die bernische Aufsichtsbehörde hob die Pfändungsverfügung auf, weil es sich um eine absolut unpfändbare Versicherungsleistung handelte, wies aber das Gesuch um amtliche Beiordnung (und Bezahlung) des Anwalts ab.

Die Aufsichtsbehörde in SchKG-Sachen vertrat die Auffassung, die Beiordnung eines Anwalts sei gar nicht nötig gewesen. Im Beschwerdeverfahren gelte der «Untersuchungsgrundsatz» (das heisst, dass die Aufsichtsbehörde den Sachverhalt von Amtes wegen ermittelt). Die Beschwerde sage nicht mehr, als dass die Versicherungsleistung absolut unpfändbar sei. Dafür brauche es keinen Anwalt, zumal nicht geltend gemacht werde, der Beschwerdeführer verstehe die deutsche Sprache zu wenig. Schliesslich würden im Beschwerdeverfahren auch einfachste Eingaben entgegengenommen, bei denen nur sinngemäss ein Begehren gestellt und der Sachverhalt nur angedeutet werde.
Der Bundesgerichtsentscheid. Das Bundesgericht erinnert an den Grundsatz: «Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand.»

In einem früheren Entscheid hatte das Bundesgericht tatsächlich geschrieben, die Mitwirkung eines Rechtsanwalts sei im SchKG-Beschwerdeverfahren «in aller Regel nicht erforderlich», da eben der Untersuchungsgrundsatz gelte (BGE 122 I 8). Später hat es präzisiert, dass die Mitwirkung eines Anwalts im Beschwerdeverfahren in folgenden Fällen nötig sein kann (im BGE 122 III 392; französisch):

  • wenn der Sachverhalt komplex ist;
  • wenn sich komplexe Rechtsfragen stellen;
  • wenn die Rechtskenntnisse des Gesuchstellers unzureichend sind;
  • wenn bedeutende Interessen auf dem Spiel stehen.

Im vorliegenden Fall ging es um die «für einen juristischen Laien nicht einfache» Abgrenzung von unpfändbarer Entschädigung für Körperverletzung und beschränkt (wie Lohn) pfändbarem Ersatzeinkommen. «Die Aufsichtsbehörde stellt nicht fest, dass der Beschwerdeführer über genügende Rechtskenntnisse verfügt, um dieses rechtliche Problem zu erkennen und aufgrund seiner Kenntnisse selbständig Beschwerde zu führen.» Und - nicht zuletzt: Wenn es um 7'230 Franken geht, stehen für eine Person mit finanziellen Problemen bedeutende Interessen auf dem Spiel. Zwei Gründe für die Beiordnung eines unentgeltlichen Anwalts, welche die kantonalbernische Aufsichtsbehörde übergangen hat

(files/icons/icon_BGE12.gif Bundesgerichtsentscheid 5P.346/2004 vom 8. November 2004).