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Mario Roncoroni

Der Betreibungsalltag
Vom Zahlungsbefehl zum Verlustschein

 

 

Mario Roncoroni
Der Betreibungsalltag
Vom Zahlungsbefehl zum Verlustschein

3. vollständig überarbeitete Auflage von «Betreibung – was tun?»
herausgegeben von der Berner Schuldenberatung  (www.schuldeninfo.ch)

Edition Soziothek, Bern 2011

 

ISBN 978-3-03796-400-2

Lektorat, Gestaltung: Cuno Vollenweider, info-werkstatt, Bern
Umschlagsfoto: iStockphoto.com
Druck: Druckform, Toffen
Buchbinderei: Krähenbühl GmbH, Ortschwaben

Papier: Cocoon 120g/m2 (hergestellt aus 100% Altpapier)

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis. 3

Vorbemerkungen. 5

 

1.      Das System des Schweizerischen Betreibungsrechts. 7

2.      Das Einleitungsverfahren. 9

2.1    Das Betreibungsbegehren. 9

2.2    Der Zahlungsbefehl 12

2.3    Die Vorlage der Beweismittel (Art. 73 SchKG) 18

2.4    Der Rechtsvorschlag (Art. 74 ff. SchKG) 18

2.5    Der Streit um die Aufhebung des Rechtsvorschlags. 22

2.6    Das Rechtsöffnungsverfahren Schritt für Schritt 30

2.7    Richter in eigener Sache: Krankenkassen, Billag und Co. 34

2.8    Die Abwehrmittel der betriebenen Person. 35

3.      Die Pfändung. 42

3.1    Der Ablauf des Pfändungsverfahrens. 42

3.2    Das Fortsetzungsbegehren. 42

3.3    Pfändung oder Konkurs?. 43

3.4    Das Pfändungsverfahren. 44

3.5    Sonderfall «Betreibung auf Pfandverwertung» (Art. 151 ff. SchKG) 47

3.6    Was wird gepfändet? Was nicht?. 48

3.7    Wann wird das Auto gepfändet, wann nicht?. 55

3.8    Die Pfändung von Erbschaftsanteilen und ähnlichem.. 56

3.9    Die Einkommenspfändung. 57

3.10  Der Betrag der Ehefrau zur freien Verfügung. 66

3.11  Die Pfändungsgruppe. 71

3.12  Die Verwertung. 72

3.13  Die Verteilung. 76

3.14  Der Pfändungsverlustschein. 78

3.15  Die Sicherungsmassnahmen. 80

3.16  Die Anfechtungsklagen. 84

3.17  Die Interessen von Dritten: Das Widerspruchsverfahren. 85

4.      Der Konkurs. 88

4.1    Was heisst «Konkurs»?. 88

4.2    Der Konkurs auf Antrag des Gläubigers. 89

5.      Allgemeine Fragen. 90

5.1    Der Eintrag im Betreibungsregister. 90

5.2    Wer trägt die Kosten?. 91

5.3    Was die betriebene Person nicht tun darf:  Die Pfändungs- und Konkursdelikte. 93

5.4    Wenn das Betreibungsamt Fehler macht 95

 

Quellenverzeichnis. 100

Register. 101

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dank

Ich danke dem Team der Berner Schuldenberatung für die Mitarbeit an dieser Publikation, insbesondere Michèle Blaser, Johanna Sommer und Shirin Wolf für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Ausserdem danke ich Raffael Gfeller für die Recherchen und Stefan Koller für die Korrekturen und für die Erstellung des Stichwortverzeichnisses.


Vorbemerkungen

Wenn der Postbeamte, der an der Türe klingelt, ein Formular präsentiert, auf dem fett gedruckt «Zahlungsbefehl» steht, ist das für viele Betroffene ein Schock. Das Formular fährt in rüdem Ton (und in fetten Buchstaben) weiter: «Der Schuldner wird aufgefordert, den Gläubiger für die angegebenen Forderungen samt Betreibungskosten zu befriedigen.» Und: «Sollte der Schuldner diesem Zahlungsbefehl nicht nachkommen, kann der Gläubiger die Fortsetzung der Betreibung verlangen.»


Dieses Handbuch will praxistaugliche Antworten geben, es will der Leserin, dem Leser helfen, in diesen schwierigen Momenten einen kühlen Kopf zu bewahren. Wer es gelesen hat, weiss zum Beispiel:

   Der «Zahlungsbefehl» schlägt falsche Töne an: wer da als «Gläubiger» bezeichnet wird, ist genau besehen nicht mehr als eine Person, die behauptet, sie habe Geld zugut, und die den Kostenvorschuss für die Zustellung des Zahlungsbefehls bezahlt hat.

   Dass die betriebene Person als «Schuldner» bezeichnet wird, ist ein wenig unanständig: Das Betreibungsamt weiss nicht, ob sie wirklich Geld schuldet.

   Die Zustellung des Zahlungsbefehls kann man nicht verhindern. Wer dies trotzdem versucht, bekommt es letztlich mit der Polizei zu tun. Wer sich wehren will, muss «Rechtsvorschlag» machen.

usw.

Das Handbuch begleitet die betriebene Person (und ihre BeraterInnen) durch das gesamte Be­treibungsverfahren – von der Zustellung des Zahlungsbefehls über die Pfändung bis zur Ausstellung des Verlustscheins. Es gibt Tipps, wie man sich gegen ungerechtfertigte Forderungen wehren und wie man bei gerechtfertigten Forderungen den Schaden minimieren kann.

Das System hinter dem Labyrinth. Wer das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG,
«Sche-Ka-Ge» genannt) aufschlägt, muss sich mit einem wahrhaften Labyrinth von Verfahrenswegen auseinandersetzen. Das Handbuch schildert als Einstieg die Systemgedanken des schweizerischen Betreibungsrechts. Wenn man sie begreift, erkennt man eine Ordnung hinter der Vielfalt und kann man sich besser orientieren.

Nach der Darstellung des Systems steigt das Handbuch beim Betreibungsbegehren ein. Es geht Schritt für Schritt durch das Betreibungsverfahren und endet mit der Ausstellung des Verlustscheins. Im Anschluss daran werden verschiedene Themen abgehandelt, welche für den Betreibungsalltag von Bedeutung sind.

Geld hat man zu haben! Das ist das Grundaxiom des Betreibungsrechts. Bei vertraglichen Verpflichtungen kann ich mich unter Umständen von meinen Pflichten mit dem Argument befreien, meine Leistung sei unmöglich geworden und mich treffe kein Verschulden daran. Wenn ich zur Bezahlung einer Geldsumme verpflichtet bin, kann ich nicht einwenden, die Leistung sei unmöglich geworden. Selbst wenn ich beweisen könnte, dass die Unmöglichkeit unverschuldet ist, bleibe ich zur Zahlung verpflichtet.

Am 1. Januar 2011 ist die neue schweizerische Zivilprozessordnung in Kraft getreten. Die Änderungen, die sie mit sich gebracht hat, sind in diesem Handbuch verarbeitet.

 


 


1. Das System des Schweizerischen Betreibungsrechts

 

Wer das Betreibungsrecht verstehen will, muss zwei Arten von Verfahren unterscheiden können: den Streit ums Recht und den Streit um die Zwangsvollstreckung, um die Durchsetzung des Rechts. Auf den folgenden Zeilen wird der Unterschied an einem Beispiel vorgestellt.


Dora Schäfers 17-jährige Tochter hat eine ziemlich grosse Inschrift auf eine Hausmauer gesprayt, um ihre Verehrung für einen Schauspieler auszudrücken:  «I Y Brad!» Der Hauseigentümer Franco Bolli schreibt Dora Schäfer einen Brief: «Liebe Frau Schäfer, die Schmiererei kostet Sie 2‘500 Franken: 2‘000 Franken für den Handwerker, der sie beseitigt hat, und 500 Fran­ken für den Ärger. Gruss, Franco Bolli.» Dora Schäfer ist der Meinung, dass sie Herrn Bolli nichts schuldet. Die Hausmauer sei schon völlig versprayt gewesen, ausserdem sei ihre Tochter wenn schon allein haftbar.


Der Streit ums Recht


Zwischen Dora Schäfer und Franco Bolli besteht ein Konflikt über eine rechtliche Verpflichtung: Muss Dora Schäfer Geld bezahlen? Schuldet sie ihm 2'500 Franken? Oder weniger? Oder gar nichts?

Franco Bolli kann Dora Schäfer einklagen, um die Frage verbindlich und definitiv beantworten zu lassen. Das Gericht hört beide Seiten an, stu­diert Protokolle und weitere Unterlagen, nimmt vielleicht sogar einen Augenschein im Quartier. Am Ende des Gerichtsverfahrens wird ein Urteil stehen, in dem festgestellt wird, ob Dora Schäfer Franco Bolli Geld schuldet und – wenn ja – wie viel. Allenfalls kann die Streitpartei, welche mit dem Ergebnis unzufrieden ist, das Urteil an eine höhere Gerichtsinstanz weiterziehen. Aber irgendeinmal kommt der Moment, in dem der Streit endgültig entschieden ist: Das Urteil ist vollstreckbar und rechtskräftig. Es legt autoritativ und durchsetzbar fest, ob Dora Schäfer Herrn Bolli Schadenersatz schuldet und –
wenn ja – wie viel.


Der Streit um die Durchsetzung des Rechts


zum Unterschied von Pfändung und Konkurs siehe unten S. 43

Nehmen wir an, man habe vor Gericht einen Vergleich abgeschlossen, in dem steht, dass Dora Schäfer 1000 Franken bezahlen muss. Das Gericht hat ihn genehmigt. Sie weigert sich aber weiterhin, den Betrag zu bezahlen. Was tut Herr Bolli jetzt? Er betreibt Dora Schäfer. Das heisst: Er wendet sich an das Betreibungsamt an Dora Schäfers Wohnort, bezahlt den Kostenvorschuss von 70 Franken und lässt ihr einen Zahlungsbefehl über 1000 Franken zustellen. Der Streit geht jetzt nicht mehr um die Frage, ob Dora Schäfer Herrn Bolli Geld schuldet. Diese Frage ist für die Justiz definitiv erledigt, seit sie den Vergleich genehmigt hat: Dora Schäfer schuldet Franco Bolli 1000 Franken. Es geht nur noch um die Durchsetzung des Rechts. Wenn Dora Schäfer nicht freiwillig bezahlt, kann Herr Bolli vom Staat (genauer: vom Betreibungsamt) verlangen, dass die Begleichung der Forderung zwangsweise durchgesetzt wird, je nach dem mit Pfändung oder mit Konkurs.


Streit um die Durchsetzung des Rechts schon vor dem Streit ums Recht


Eigenartigerweise kann man in die Zwangsvollstreckung einsteigen, noch bevor der Streit ums Recht stattgefunden hat: Herr Bolli kann Dora Schäfer direkt einen Zahlungsbefehl zustellen lassen, ohne zuerst das Gericht anzurufen, und damit den Esel gewissermassen vom Schwanz her aufzäumen. Nur wenn sich Dora Schäfer wehrt, wird es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Frage kommen, ob sie das Geld in Wirklichkeit schuldet. Es ist möglich, dass die Betreibung bis zum Ende durchgespielt wird, ohne dass sich je ein Gericht mit der Streitfrage befassen muss: wenn die betriebene Person der Auffassung ist, dass sie den geforderten Betrag tatsächlich schuldet. Oder wenn sie es einfach versäumt, sich zu wehren.


Die «betreibungsrechtlichen Streitigkeiten mit Reflexwirkung auf das materielle Recht».
Lehre und Praxis führen neben dem «rein betreibungsrechtlichen Streit» und dem «materiell-rechtlichen Streit» eine dritte Kategorie von Rechtsstreitigkeiten an: die «betreibungsrechtlichen Streitigkeiten mit Reflexwirkung auf das materielle Recht». Damit sollen all jene betreibungsrechtlichen Streitigkeiten erfasst werden, deren Ausgang eine Auswirkung auf die Klägerrolle hat. Wir verzichten in diesem Handbuch auf diese dogmatische Kategorie, weil sie kaum etwas zur Klärung der praktischen Probleme beiträgt, mit denen sich die Betriebenen und ihre BeraterInnen auseinandersetzen müssen, und schlagen die Streitigkeiten mit Reflexwirkung zu den betreibungsrechtlichen.

Zwei Wege Mario & Cuno führen den Gläubiger zum Geld


Es gibt also zwei Wege, auf denen der Gläubiger zu seinem Geld kommen kann: mit einem Urteil in der Tasche oder ohne. Wenn der Streit ums Recht rechtskräftig entschieden ist, gibt es über das «ob» keine Diskussion mehr. Der Streit kann nur noch um die Zwangsvollstreckung gehen. Der Gläubiger kann aber auch in die Zwangsvollstreckung gehen, bevor er ein Urteil hat, und er wird vielleicht gar nie ein Urteil brauchen, weil er auch ohne zu seinem Geld kommt.


Anrecht auf genau einen Streit ums materielle Recht


Das SchKG enthält eine unausgesprochene Garantie für alle Verfahrensbeteiligten: Sofern noch kein Gerichts- oder Verwaltungsentscheid sagt, wie viel zu bezahlen ist, können Gläubiger wie Schuldner ans Gericht gelangen und dort feststellen lassen, wie die Rechtslage ist, selbst wenn die Betreibung schon weit fortgeschritten ist. Der Gläubiger kann zum Beispiel eine «Anerkennungsklage» einreichen, die betriebene Person je nach Verfahrensstadium eine «Aberkennungsklage», eine «Feststellungsklage» oder, wenn sie schon bezahlt hat, eine «Rückforderungsklage».


Voraussetzungslose Betreibung – kurzer Weg zum Geld (oder zum Verlustschein):
Der Anspruch auf einen materiell-rechtlichen Prozess bleibt


2.  Das Einleitungsverfahren