Konsum auf Pump. Das Recht - Einleitung
Die Geschichte des schweizerischen Konsumkreditrechts kann als Reihe von Versuchen des Gesetzgebers gelesen werden, die sozialen Folgen des Konsums auf Pump zu mildern. Sie ist zugleich die Geschichte der Ausweichmanöver: Sobald ein Gesetz versuchte, die Probleme in den Griff zu bekommen, haben sich die Kreditgeberinnen und der Handel durch die Lücken auf und davon gemacht – und das Gesetz mit mehr oder weniger tauglichen Mitteln zu umgehen versucht.
Das Grundproblem aller Konsumkredite: Künftiges Einkommen als fiktive Sicherheit
Der Konsumkredit wird vergeben, ohne dass eine echte Sicherheit dafür bestehen würde. Bei anderen Krediten dient z.B. eine Liegenschaft, eine Versicherungspolice oder ein Aktienpaket als Pfand; der Konsumkredit hingegen wird gewährt, weil die Kreditgeberin ebenso wie der Kreditnehmer erwartet, dass sich das Haushaltsbudget während der Laufzeit des Kredits nicht verschlechtern wird.
Selbst bei sorgfältigster Kreditvergabe muss es bei einem Teil der Kreditnehmer zu Problemen kommen — überall dort, wo sich die optimistischen Erwartungen an die Entwicklung von Einkommen und Ausgaben nicht erfüllen. Die Arbeitsstelle geht verloren, gesundheitliche Probleme tauchen auf, ein Kind kommt zur Welt (aus der Sicht des Haushaltsbudgets eine mittlere Katastrophe, weil gleichzeitig das Einkommen sinkt und die Ausgaben steigen). Es ist offensichtlich: Je verbreiteter der Konsum auf Pump ist, desto zahlreicher sind die Problemfälle, die durch den Konsum auf Pump entstehen.
Der Konsum auf Pump bringt den Schuldenberatungsstellen selbst bei sorgfältigster Kreditvergabe einen Grundsockel an Klientinnen und Klienten.
Ursache zahlreicher Überschuldungsfälle dürfte auch eine schweizerische Einmaligkeit sein: das Steuerbezugssystem. Während in den umliegenden Ländern die Einkommenssteuern direkt vom Lohn abgezogen werden, muss der Steuerpflichtige hierzulande sie im Nachhinein aus der eigenen Tasche begleichen. Da das Steuerinkasso regelmässig ein, zwei, drei Jahre hintendrein hinkt, kann der Konsumkredit selbst dann noch rentabel sein, wenn das Haushaltsbudget objektiv im Ungleichgewicht ist. Das Kartenhaus wird unter Umständen erst zusammenbrechen, wenn die Kreditgeberin ihr Scherflein am Trockenen hat. Dank dem nachträglichen Steuerinkasso kann sie jedenfalls jahrelang von einem Haushaltsbudget profitieren, welches sich bereits im Ungleichgewicht befindet.
Vor fünfzig Jahren: Vor allem Abzahlungskäufe
Anfangs der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts versuchte der Gesetzgeber den Abzahlungskauf in den Griff zu bekommen: 1963 traten die Artikel 226a bis 226m des Obligationenrechts in Kraft. Die hablose Bevölkerung erwarb damals vor allem Möbel, Wäsche und Radios mit dem Instrument des Abzahlungskaufs. Die Antwort der Händler war der Barkredit. Etwas später transplantierte man einfach eine angelsächsische Vertragsform, welche ursprünglich der Finanzierung teurer Produktionsanlagen gedient hatte, in den Konsumbereich: Der Leasingvertrag trat seinen Siegeszug an. Der detailliert geregelte Abzahlungskauf verschwand praktisch von der Bildfläche.
In einer Diplomarbeit für die Soziale Frauenschule Luzern hat Anna Fischer 1959 26 armengenössige Familien interviewt, welche Abzahlungsgeschäfte abgeschlossen hatten (Fischer, 1959).
Sie stiess auf insgesamt 89 Abzahlungsverträge. 25 der 26 Familien hatten damit Möbel gekauft. Die Autorin vermutet, dass sämtliche interviewten Familien einen Radio auf Abzahlung hatten (nur 9 gaben ihn an, da das «Radio‐Abonnement » nicht als Abzahlungsvertrag angeschaut wurde). Daneben wurde mit den Abzahlungsverträgen die Anschaffung von Wäsche, vor allem Bettwäsche, von Kleidern, Vorhängen und Waschmaschinen finanziert. Ein (!) Auto war angeschafft worden. Neben echten Abzahlungskaufverträgen traf die Autorin vereinzelt Mietverträge mit Kaufrecht und Vorauszahlungsverträge an.
Wie dringend eine gesetzliche Regelung der Materie war, illustriert folgender, von Anna Fischer dokumentierter Fall: In einem Haushalt stand ein Radioapparat mit integriertem Plattenspieler (»Grammophon») und Tonbandgerät. Am Gerät war ein Kassenautomat angebracht. Der Käufer musste pro Monat 25 Franken Miete bezahlen. Was der Käufer darüber hinaus ein bezahlte, wurde an den Kaufpreis von 3045 Franken angerechnet. Nach 70 Monaten Laufzeit waren erst 1700 Franken abbezahlt.
Die Laufzeitbeschränkung: Traditionelles Instrument zur Bekämpfung der Überschuldung
Das alte Recht zum Abzahlungsvertrag (Art. 226a bis 226m OR) sah eine maximale Laufzeit des Vertrags von 24 Monaten vor (für Möbel erlaubte die bundesrätliche Verordnung höchstens 30 Monate Laufzeit). Die Sanktion bei Verstössen war einschneidend: Der Verkäufer verlor den Anspruch auf jegliche Zahlung nach Ablauf der zulässigen Vertragsdauer. Das Recht der Kantone Bern und beider Basel setzte gut 30 Jahre später ebenfalls das Instrument der Laufzeitbeschränkung ein. Es sah eine maximale Laufzeit von 36 Monaten vor.
Mit der Maximallaufzeit sollen mehrere Fliegen auf einen Schlag erledigt werden:
- Der Verniedlichungseffekt. Je länger der Vertrag dauert, desto tiefer sind die einzelnen Raten. Die Laufzeitbeschränkung schützt KonsumentInnen, welche etwa intuitiv mit folgenden Überlegungen an eine Kreditofferte herangehen: «10'000 Franken sind viel Geld. Soviel habe ich nicht. Aber 300 Franken kann ich mir leisten.» Dem Konsumenten sollte möglichst fühlbar gemacht werden, auf was für eine Verpflichtung er sich einlässt.
- Je länger, desto teurer. «Wer kein Geld hat, zahlt drauf.» Das Motto gilt sicher für den gesamten Konsumkreditbereich. Die Laufzeitbeschränkung soll dafür sorgen, dass nicht allzu viel draufgezahlt wird. Die Verlängerung der Vertragsdauer hat nämlich nicht nur die Verkleinerung der einzelnen Rate zur Folge, sondern auch die Erhöhung des gesamten Zuschlags, den der Konsument zu bezahlen hat.
Die Gefahr der Budgetverschlechterung. Der Konsumkredit wird vergeben, weil für das künftige Budget des Haushalts eine günstige Prognose gemacht werden kann. Je länger die Laufzeit eines Vertrags ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass während der Vertragsdauer ein Ereignis eintritt, welches das Budget ins Ungleichgewicht bringt — oder auch mehrere. Die Laufzeitbeschränkung soll dafür sorgen, dass die Kreditraten in einen einigermassen überblickbaren Zeitraum gepackt werden.
Die Verordnung über die Kleinkredit‐ und Abzahlungsgeschäfte vom 10. Januar 1973
Mit verschiedenen dringlichen Bundesbeschlüssen sollte in den Siebzigerjahren die überhitzte Konjunktur gedämpft werden. In diesem Rahmen erliess der Bundesrat 1973 die Verordnung über die Kleinkredit‐ und Abzahlungsgeschäfte. Die Verordnung schrieb vor, dass die Höchstdauer für die Rückzahlung eines Kleinkredites 24 Monate betrage, dass ein neuer Kredit weder versprochen noch ausbezahlt werden dürfe, solange ein früher gewährter nicht vollständig zurückbezahlt sei, und dass die Kreditkosten im Vertrag in Franken und Prozenten anzugeben seien. Bei Widerhandlungen hatte die Bank Verwaltungsmassnahmen und der Täter Haft oder Busse bis zu 100'000 Franken zu gewärtigen (Art. 9 und 10 KB). Die Verordnung wurde Ende 1975 aufgehoben.
Das KKG 1994: Ein reines Konsumenteninformationsgesetz
Der Bund setzte im Jahr 1994 das Bundesgesetz über den Konsumkredit in Kraft. Es handelte sich um ein «Konsumenteninformationsgesetz », mit dem das damalige EU‐Recht freiwillig nachvollzogen wurde. Die kantonalen Kompetenzen blieben unangetastet, das KKG 1994 hielt ausdrücklich fest, dass im Kollisionsfall jene Regel den Vorzug erhalten sollte, die den Konsumenten besser schützte.
Einige Kantone füllen die sozialpolitische Lücke
Nachdem im Jahr 1986 ein erstes Bundesgesetz über den Konsumkredit im Parlament durch die Schlussabstimmung gefallen war, stellten verschiedene Kantone, allen voran Bern, Neuenburg, Basel‐Stadt und Basel‐Land, Regeln über den Konsumkredit auf. Damit sollte die Überschuldung durch Konsumkredite bekämpft werden.
Dabei wurden folgende Instrumente eingesetzt: Die Laufzeit des Kredits wurde auf 36 Monate beschränkt, seine Höhe auf einen Viertel des Jahreseinkommens, die Kreditaufstockung und der Zweitkredit wurden verboten.
Das Bundesgericht wies die Beschwerden der Kreditbranche gegen die kantonalen Regelungen ab.
Nachdem die Kreditbranche die kantonalen Regelungen nicht hatte aushebeln können, verlegten sich etliche Institute auf die Umgehung der Gesetze. Sie liessen den Kreditbetrag einfach in einem Nachbarkanton ausbezahlen oder sie liessen (vor allem ausländische) Kreditnehmer‐ Innen bestätigen, dass der Kredit für eine Liegenschaft (im Ausland) bestimmt sei. Soweit bekannt, liessen sich die Gerichte indes durch die Umgehungsversuche nicht blenden.
Verschiedene Kantone führten einen Höchstzins von 15 Prozent ein. Im Kanton Freiburg galt eine Zinslimite von 13 Prozent.
Erfolgreiche Revision des KKG: Die Kreditbranche schluckt die Kröte
Wenn sich Ende des letzten Jahrhunderts die abschliessende Regelung des Konsumkreditrechts durchsetzen konnte, welche am 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist, so ist dies nach unserer Einschätzung vor allem auf drei Faktoren zurückzuführen:
- Die Kreditinstitute waren bereit, eine Bundesregelung des Konsumkredits zu schlucken, wenn damit nur die bestehenden kantonalen Gesetze zum Verschwinden gebracht und einschränkende Regelungen in weiteren Kantonen verhindert werden konnten.
- Die Leasinggesellschaften konnten mit dem Erreichten mehr als zufrieden sein. Der Ständerat hatte überraschend eine explizite Regelung des Leasingvertrags in das Gesetz eingebaut. Die Bestimmungen zum Abzahlungskauf im Obligationenrecht wurden ersatzlos gestrichen.
- Die Konsumentinnen und Konsumenten haben im Parlament nur wenige InteressenvertreterInnen, die bereit gewesen wären, sich bei diesem Thema die Finger zu verbrennen. Wer so arm ist, dass er seine Konsumbedürfnisse nur auf Pump befriedigen kann, hat im Bundesparlament nicht viele Freunde.
Charakterisierung des Bundesgesetzes über den Konsumkredit
Am 1. Januar 2003 ist die Landschaft des Konsumkreditrechts grundlegend verändert worden:
Das neue Gesetz regelt den Konsumkredit abschliessend. Das Recht zum Abzahlungskauf wird aufgehoben (Art. 226a bis 226m OR). Den Kantonen wird die Kompetenz entzogen, Konsumkreditrecht zu erlassen. Das geltende kantonale Recht wird weitestgehend wirkungslos. Der Leasingvertrag, der bisher im Einflussbereich des Abzahlungskaufs und des Mietrechts lag, wird neu geregelt. Das Konkordat über Missbräuche im Zinswesen wird aufgehoben, beziehungsweise wirkungslos.
Der Konsumentenschutz soll im neuen Gesetz mit folgenden Instrumenten erreicht werden:
- Detaillierte Vorschriften zu Form und Inhalt des Vertrags wollen dafür sorgen, dass die Konsumentin genau darüber informiert ist, was für einen Vertrag sie abschliesst.
- Vorschriften zur Berechnung und Deklaration des effektiven Jahreszinses wollen Markttransparenz schaffen. Die Konsumentin soll mathematisch hochgenau wissen, was für einen Preis sie für den Kredit bezahlt, und sie soll die Kosten verschiedener Angebote genau miteinander vergleichen können.
- Ein siebentägiges Widerrufsrecht (nach dem Modell des Haustürgeschäfts) will der Konsumentin eine «cooling‐off»‐Periode verschaffen, in der sie ohne Nachteile von einem übereilten Vertragsschluss zurücktreten kann.
- Die Kreditgeber müssen vor Gewährung des Kredits eine Kreditfähigkeitsprüfung nach präzisen Vorgaben durchführen. Damit soll verhindert werden, dass der Kredit zur Überschuldung führt.
- Eine zentrale Datenbank, welche die Kreditgeberin vor Kreditgewährung konsultieren und welcher sie Kreditabschlüsse und Zahlungsprobleme melden muss, soll verhindern, dass die Konsumentin sich durch mehrfache Kredite verschuldet, beziehungsweise dass sie noch Kredit erhält, wenn sie schon in erheblichen Zahlungsschwierigkeiten steckt.
Die Anliegen des Konsumentenschutzes sind weitgehend auf der Strecke geblieben
Zahlreiche Anliegen der KonsumentInnenorganisationen und der Schuldenberatung blieben bei der Revision auf der Strecke (wobei angemerkt werden muss, dass nicht alle KonsumentInnenorganisationen in dieser Materie aktiven Konsumentenschutz betrieben). Dabei wurden auch Schutzmassnahmen gestrichen, welche zuvor im kantonalen Recht bestanden hatten.
Was nicht durchkam:
- Das Verbot der Solidarität: Konsumkredite sollten nur noch einzelnen Privaten gewährt werden können. Damit wäre der Unsitte der Riegel geschoben worden, dass die Freundin oder die Ehefrau zur Unterschrift gebeten wird, wenn der Antragsteller selber nicht kreditwürdig oder kreditfähig ist. Hier muss allerdings festgehalten werden, dass die Solidarhaftung im Konsumkredit wegen der Vorschriften über die Kreditfähigkeitsprüfung viel von ihrer Sozialschädlichkeit verloren hat. Verpflichtet ein Kreditgeber die KreditnehmerInnen zu Solidarhaftung, so ist das tiefere der beiden Einkommen für die Bestimmung des maximal zulässigen Kredits massgeblich. Verfährt der Kreditgeber anders, so missachtet er unseres Erachtens das Gesetz.
- Die Unterschrift der Ehegattin, des Ehegatten: Im Interesse des Familienfriedens hätten die Konsumkreditverträge nur mit der schriftlichen Zustimmung der Ehegattin, des Ehegatten abgeschlossen werden können.
- Das Verbot der Kreditaufstockung und des Zweitkredits: Die Kantone haben mit dieser Vorschrift gute Erfahrungen gemacht. Sie wäre z.B. bei Suchtproblemen als effiziente Bremse in Aktion getreten. Glücksspielsüchtige finanzieren ihre Sucht regelmässig mit immer wieder aufgestockten Barkrediten.
- Die Maximallaufzeit von 36 Monaten, welche die Schuldenberatung und die KonsumentInnenorganisationen forderten, blieb auf Bundesebene chancenlos.
- Der Maximalbetrag von drei Monatslöhnen aus dem kantonalen Recht ist durch eine Kreditlimite ersetzt worden, welche bei der Kreditfähigkeitsprüfung individuell errechnet werden muss.
- Die Äufnung eines Entschuldungsfonds: Die Kreditgeberinnen hätten einen bestimmten Prozentsatz der ausgeschütteten Kredite in einen Entschuldungsfonds einzahlen sollen, aus dem Konsumkredite überschuldeter Privater hätten abgelöst werden können.
- Das Recht zum Auskauf: Das Recht der LeasingnehmerInnen, das Fahrzeug jederzeit zum Restwert aus dem Vertrag herauszukaufen, wurde abgelehnt.